Mittwoch, 3. März 2010: Interview mit Dr. Gabor Egervári, medizinischer Leiter der „Medical Mission“

Dr. Gabor Egervári, Assistenzarzt in der Inneren Medizin, hat 2009 die medizinische Leitung der „Medical Missions“ übernommen. In einem Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen.

Wann haben Sie zum ersten Mal an einer „Medical Mission“ teilgenommen? Und mit welcher Motivation?

Dr. Gabor Egervári: „2007 in Ghana. Ich wollte mich schon immer für die Entwicklungshilfe einsetzen. Bei meiner Arbeit hier kann ich vielen bedürftigen Menschen mit einfachen Mitteln helfen. Das unterscheidet sich stark von der Arbeit, wie ich sie gewohnt bin: Hier gibt es keine hochtechnisierte und hochspezialisierte Medizin wie in den Industrienationen. Sondern es stehen medizinische Basiskenntnisse und -methoden im Vordergrund. Das ist für mich als Arzt sehr reizvoll.“

Sie arbeiten in Deutschland in einem Krankenhaus. Für die „Medical Missions“ opfern Sie einen großen Teil Ihres Urlaubs. Bekommen Sie von Ihrer Familie Unterstützung?

Dr. Gabor Egervári: „Ja, sehr viel. Meine Frau hat mich letztes Jahr sogar zusammen mit unserem kleinen Sohn begleitet. Meine Mutter ist auch mitgekommen: Sie hat auf Raphael aufgepasst, er war damals neun Monate alt. Und mein Vater, Dr. Berthold Egervári, ist ebenfalls mit uns gereist, er ist Allgemeinarzt. So waren letztes Jahr fünf Egerváris in der Gruppe.“

Wie ist Ihr Eindruck von der laufenden „Medical Mission“, vor allem im Vergleich zu Ihren früheren Einsätzen?

Dr. Gabor Egervári: „Die ‚Medical Missions‘ werden von Jahr zu Jahr besser: Man weiß, wie man sich vorbereiten muss, die Organisation läuft mittlerweile fast reibungslos, die Abläufe spielen sich schneller ein. Auch die Vorbereitung durch unsere Helfer vor Ort und die Nachbetreuung verbessern sich immer mehr.“

Das ist jetzt die dritte „Medical Mission“ in Mexiko ...

Dr. Gabor Egervári: „Nach Mexiko reisen wir jährlich, um dauerhafte Betreuung geben zu können. Denn unsere Arbeit soll nicht bloß ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Durch unsere Mitarbeiter vor Ort erfolgt eine kontinuierliche Versorgung, z. B. durch Medikamentenvergabe. In Quintana Roo gibt es einige Patienten, die Jahr für Jahr zu uns kommen und uns berichten, wie es ihnen geht.

Sie behandeln hier vor allem Kinder. Von Fach sind Sie jedoch nicht Pädiater, sondern Sie arbeiten in der Inneren Medizin ...

Dr. Gabor Egervári: „In den letzten zwei Jahren hatten wir keinen Kinderarzt in der Gruppe. Ich hatte mich schon zuvor viel mit Pädiatrie beschäftigt und habe mir, auch bei meiner Arbeit im Krankenhaus, Grundkenntnisse und -fertigkeiten in diesem Fachgebiet erworben. Bei einer ‚Medical Mission‘ sind leider nie alle Fachgebiete vertreten. Deshalb werden die Patienten dem Arzt zugewiesen, der über die entsprechenden Kenntnisse verfügt – auch wenn er kein Facharzt ist. Entscheidend ist für uns, dass die Patienten Hilfe bekommen.”

Gestern hatten Sie einen sehr anstrengenden Tag. Sie haben alleine mehr als 100 Patienten behandelt. Ist es nicht schwer, dabei immer geduldig und gelassen zu bleiben?

Dr. Gabor Egervári: “Doch. Beim ersten Patienten ist es natürlich leicht, beim 100. schon lange nicht mehr. Wenn man müde ist, Hunger hat und es so heiß ist wie hier, kann die Arbeit viel Kraft kosten. Aber wenn man die Patienten vor sich sieht, ihre Freundlichkeit und Dankbarkeit, nimmt man die Anstrengung gerne in Kauf. Man gibt zwar sehr viel – an Zeit, Geduld, Fertigkeiten – aber man bekommt noch viel mehr: Immer geht man bereichert und glücklich zurück. Fast alle, die dabei waren, wollen wiederkommen. Obwohl man hier teilweise länger arbeitet als am Arbeitsplatz, im Krankenhaus oder in der eigenen Praxis.”

 Sie sagten, Sie können den bedürftigen Menschen oft mit einfachen Mitteln viel geben. Wie kann man sich das vorstellen?

Dr. Gabor Egervári: „Wichtig ist zunächst, dass man ausführlich mit den Patienten redet. Man muss sich Zeit für sie nehmen, sehr viel Zeit. Denn Aufklärung ist für sie wichtig. Meist haben sie sehr wenig Wissen. Gestern hatte ich den Fall eines Kindes mit einem Hydrocephalus, einem Wasserkopf also, und geistiger Behinderung. Die Eltern haben gedacht, dass sich das von alleine zurückbildet ...“

Und wie haben sie reagiert, als sie von Ihnen die richtigen Informationen bekamen?

Dr. Gabor Egervári: „Die Eltern waren natürlich zuerst schockiert und traurig, aber sie waren auch dankbar, nun Bescheid zu wissen. Die Menschen hier brauchen mehr Bildung, damit sich ihre Situation verbessern kann. Oft kommen Patienten mit Husten zu mir. Sie sagen, dass sie die Grippe haben und ein Medikament zu deren Heilung wünschen. Sie wissen nicht, was das ist, aber das Wort ‚Grippe‘ haben sie schon öfter gehört. Dabei ist die Ursache für ihre Beschwerden oft eine ganz andere: Viele Maya verstehen nicht, dass sie Atemwegprobleme haben, weil sie zuhause über einer offenen Feuerstelle kochen. Man muss ihnen sagen, dass der Rauch ihnen schadet und dass sie die Kinder besser nach draußen schicken, wenn drinnen gekocht wird. Solche Zusammenhänge sind ihnen oft gar nicht klar.“

Durch gesundheitliche Aufklärung können Sie also viel erreichen. Andererseits fehlen Ihnen hier viele Möglichkeiten, die Sie in Deutschland bei Ihrer Arbeit haben. Was vermissen Sie?

Dr. Gabor Egervári: „Die Möglichkeit, kleine Operationen vorzunehmen – z. B. Abszesse zu öffnen oder Wunden zu nähen –, aber auch etwas umfangreichere Eingriffe wie die Operation von Hernien, die Exzision von kleineren Tumoren oder einfache Operationen an Extremitäten wie bei Carpaltunnelsyndrom. Dazu müssten wir eigene Geräte besitzen, z. B. ein Narkosegerät. Uns fehlt außerdem das ganze chirurgische Instrumentarium: sterile Tücher, Skalpelle, Nahtmaterial, Abdecktücher ... Für Operationen bräuchten wir außerdem einen kleinen Raum vor Ort mit Liegen oder eine mobile Operationseinheit.“

Das ist ein Fahrzeug mit einer Liege und verschiedenen Geräten, z. B. Ultraschallgerät, EKG ...

Dr. Gabor Egervári: „In den letzten beiden Jahren hatten wir für die ‚Medical Missions‘ eine mobile Operationseinheit gemietet. Die Kosten lagen bei 2500 Euro für zwei Wochen. Dieses Mal fehlten uns dafür die finanziellen Mittel. Ein solches Fahrzeug wäre auch als abgeschlossener Untersuchungsraum sehr nützlich. Wenn wir Untersuchungen vornehmen, die einem Patienten unangenehm oder peinlich sein könnten, haben wir im Moment kaum die Möglichkeit, ihm eine geschützte Atmosphäre anzubieten. Die mobile Einheit hat außerdem eine Satellitenverbindung zur Uniklinik ‚Anahuac‘ in Mexiko Stadt, die bei Bedarf genutzt werden könnte, um Problemfälle zu besprechen und Spezialisten zu konsultieren.“

Was wäre für zukünftige „Medical Missions“ außerdem wichtig?

Dr. Gabor Egervári: „Vor allem brauchen wir mehr Ärzte und mehr finanzielle Mittel. Wir haben viele Anfragen: aus verschiedenen afrikanischen Ländern, Indonesien, Indien ... Zu tun hätten wir genug, wenn wir mehr ‚Medical Missions‘ finanzieren könnten. Aber ich bin optimistisch: Wenn unsere Initiative bekannter wird, werden wir aufgrund der Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit vieler Menschen noch vielen Menschen helfen können.“