Cozumel: Eine Insel verändert ihr Gesicht

Jedes Jahr arbeiten wir bei unseren Einsätzen ein paar Tage auf Cozumel. Die Insel gilt wegen ihrer vielen Riffe als Urlaubsparadies für Taucher und hat sich zu einem wichtigen Kreuzfahrthafen entwickelt. An den Stränden reihen sich teure Clubs und Luxushotels aneinander und in den Einkaufsstraßen amerikanische Ketten wie Starbucks und McDonalds. Der Tourismus hat erst etwa Anfang der 1980er Jahre auf Cozumel so stark zugenommen. Die Einwohner profitieren von diesen Veränderungen allerdings am wenigsten. Zwar finden sie nun Arbeit in Hotels oder Restaurants, doch ist diese meist so schlecht bezahlt, dass es nur für das Nötigste reicht. Wie hat sich das Leben auf Cozumel durch den Tourismus verändert? Darüber sprach ich mit der 53jährigen María S. Sie ist Hausfrau und wartete gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter vor dem Sprechzimmer unserer Allgemeinmediziner.

Haben Sie immer auf Cozumel gelebt?

María S.: Ja, ich bin hier geboren und habe hier meine drei Kinder großgezogen.

Wie war es früher, bevor der Tourismus einsetzte?

MS: Ich erinnere mich noch gut daran, wie es war. Es war ruhiger. Früher gab es hier nur wenige Hotels, vielleicht drei oder vier. Nur einmal in der Woche kam ein Kreuzfahrtschiff. Heute kann man sie gar nicht mehr zählen. Als ich jung war, habe ich mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen wird, wie mein Leben ablaufen wird. Ich hatte  nicht viel Gelegenheit, etwas zu lernen. Ich wollte vor allem eine Familie haben. Meine Geschwister waren viel älter als ich. Ich bin bei meinem Vater geblieben und habe mich um ihn gekümmert. Ich habe nie daran gedacht, etwas Anderes zu machen oder von hier wegzugehen. Ich bin auf Cozumel geblieben, aber Cozumel hat sich verändert.

Leben die Leute heute anders als früher?
MS: Ja. Es gibt mehr Arbeit auf der Insel. Aber es gibt nun auch mehr Probleme und Krankheiten. Wir haben früher gesünder gegessen. Die traditionelle yukatekische Küche gerät in Vergessenheit, das geht alles verloren. Unsere frühere Lebensweise war besser. Außerdem hatten fast alle Leute ein kleines Stück Land, wo sie was für sich angebaut haben.

Welche gesundheitlichen Probleme gibt es heute öfter als früher?
MS: Diabetes, alles, was mit Ernährung zu tun hat. Man kann überall Light-Produkte kaufen, Limonade, Cola und Chips. Das ist nicht gesund.

Wie ist die medizinische Versorgung hier?
MS: Es gibt teure Privatärzte für die Touristen. Für die Einwohner ist es schwierig, es fehlen Fachärzte. Die sind auf dem Festland, in Mérida. Eine solche Reise kann hier aber fast niemand bezahlen …

Ist die schlechte medizinische Versorgung das größte Problem auf der Insel?
MS: Es ist ein sehr großes Problem. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Einstellung der Leute verändert hat. Früher haben sie sich nicht für Konsum interessiert, sie waren nicht materialistisch. Heute haben auch die Familien nur wenig Zeit füreinander. Man kann sich nicht mehr aufeinander verlassen. Manchmal denke ich: Wir entscheiden nicht mehr selbst, wie wir leben wollen. Wie wir ein gutes Leben führen. Wir lassen uns beeinflussen von der Werbung und vom Konsum. Aber das sind nicht unsere Werte, das sind nicht die Werte der Menschen, die immer hier gelebt haben. Ich mache mir vor allem um die jungen Leute Sorgen …

Leben Ihre Kinder denn noch hier?
Meine Tochter, sie ist 33 Jahre alt, ist hiergeblieben. Meine Söhne leben in Cancún. Alle drei haben Probleme mit ihren Ehepartnern oder sind geschieden. Ich bin deshalb nicht zu 100 Prozent glücklich.Vielleicht habe ich versagt. Ich konnte ihnen nicht unsere Werte vermitteln. Das werfe ich mir immer vor. Andererseits ist das bei so vielen jungen Leuten so. Man hat so wenig Einfluss.

Was kann Sie denn glücklich machen?
MS: Meine Enkel. Es ist ein großes Glück für mich zu sehen, wie sie aufwachsen.