Zu arm, um Dinge wegzuwerfen

Minimalismus liegt schon seit einigen Jahren im Trend: Man versucht, sich der Sachen zu entledigen, die man nicht unbedingt braucht -- um einfacher und freier zu leben. Man findet dazu Listen im Internet und Blogautoren berichten, wie sie es geschafft haben, ihren Besitz auf 100 Dinge zu reduzieren. Denn wenn man zu viel besitzt, fangen die Dinge an, einen zu bedrängen -- also will man von ihnen frei werden.

Natürlich ist es gut, auf überflüssigen Konsum zu verzichten, dennoch erscheint bei dem Wunsch nach Minimalismus die Perspektive zuweilen verzerrt: Denn es geht dabei um Selbstoptimierung, das eigene Ego, das eigene bessere Leben, nicht aber um das Wohl der anderen, die sich keinen Minimalismus leisten können.

Wie viel dieser Wunsch nach Minimalismus mit Reichtum und Überfluss zu tun hat, erkennt man, wenn man mit wirklicher Armut konfrontiert ist. In den Mayadörfern in Quintana Roo würde man über solche Ideen nur den Kopf schütteln. Denn hier gibt es nichts wegzuwerfen. Schon die Kleidung verrät die Armut der Menschen, und als ich in ein Wohnhaus eingeladen werde, staune ich, weil dort nur so wenige Gegenstände sind.

Die Ecke für die Hühner

Dabei ist es sogar ein besseres Haus, ein Haus aus Beton und keine Mayahütte, und es wurde wohl erst vor wenigen Jahren mit staatlichen Zuschüssen errichtet. Es hat zwei Eingangstüren, eine lässt sich jedoch nicht benutzen, weil sie einen Meter über dem Boden endet. Man kann nur darüber rätseln, wie eine solche Fehlkonstruktion zustande kam. Die Elektroinstallationen sehen lebensgefährlich aus, es gibt zwar ein Bad mit Dusche und Toilette, aber kein sauberes Trinkwasser. Die Toilettenspülung hat noch nie funktioniert. Eine alte, abgenutzte Zahnbürste steht in einem Plastikbecher. Es gibt keinen Bodenbelag oder gar Teppich. Die Einrichtung besteht aus Hängematten, einem Regal, und an den Wänden hängen ein paar Gebrauchsgegenstände und Kleidung. In einer Ecke liegen Körner für die Hühner.

Gewiss würde sich niemand, der im Wohlstand aufgewachsen ist und sich nach Einfachheit sehnt, ein solches Leben wünschen. Denn es ist nicht leicht und unbeschwert, sondern schwierig und ungesund. Manche neigen dazu, aus der Distanz die Lebensbedingungen der Maya, die in so malerisch wirkenden Hütten leben, zu romantisieren. Doch dazu gibt es keinen Grund: Die Menschen hier sind kein unberührtes Naturvolk, sondern kämpfen um ihr Überleben, oft unter widrigen Bedingungen.

Dennoch sind sie großzügig und gastfreundlich, man wird schnell in ein fremdes Haus eingeladen und beschenkt, mit den Dingen, die sie haben und die bei uns kaum jemand zu schätzen wüsste. Und es beschämt einen, wie viel Dankbarkeit die Menschen hier zeigen, wenn man ihnen nur ein wenig geholfen hat, und sei es auch nur mit einer Flasche Hustensaft.