Wie die Maya heute leben: Ein Interview mit einer Familie aus Sacalaca

Unsere Einsätze führen uns jedes Jahr in das Dschungeldorf Sacalaca. Manche Dorfbewohner, die von uns behandelt wurden, sehen wir jedes Mal wieder. Doch wie leben die Menschen dort und was ist für sie wichtig? Diese Fragen durfte ich einer Maya-Familie stellen, die mich bei unserem letzten Einsatz in ihr Haus eingeladen hat. Dort leben sie zu sechst: Unus Ananias, seine Frau Brigida und die beiden Kinder Felipe und Luisa sowie Brigidas Eltern, Jorge Baltazar und Cintia Un Un. Außer Tochter Luisa waren alle bei dem Gespräch dabei. Brigida und ihre Eltern verstehen kein Spanisch, denn im Dorf wird Maya gesprochen. Deshalb hat Unus Ananias für uns gedolmetscht.

MMN: Haben Sie schon immer in Sacalaca gelebt?

Jorge Baltazar: Ich bin mit meiner Frau vor 50 Jahren, nach unserer Hochzeit, hierher gekommen. Meine Kinder sind hier geboren. Es war damals ein guter Ort zum Leben. Wir haben hier ein Stück Land und können anbauen, was wir brauchen, Mais, Bohnen, Zucchini. Hier leben die meisten Leute von der Feldarbeit.

MMN: Arbeiten Sie heute immer noch auf den Feldern?

Jorge Baltazar: Ja. Ich bin jetzt 67. Solange ich genug Kraft habe, kümmere ich mich um mein Feld.

MMN: Sind die Leute hier alle Selbstversorger oder verkaufen sie ihre Ernte auch?

Unus: Es ist schwer, etwas zu verkaufen, denn man bekommt nicht viel Geld dafür. Die meisten bauen Obst und Gemüse an, um sich selbst zu versorgen. Davon leben sie. Es hängt für uns alles davon ab, dass wir genug ernten. Das ist natürlich vom Wetter abhängig. Diese Unsicherheit ist für uns oft schwierig.

Jorge Baltazar: Früher war es einfacher. Da hatte jeder mehr Land, aber nun leben mehr Leute in Quintana Roo. Es gibt immer weniger Nahrung. Das ist ein großes Problem. Auch der Umweltschutz und die neuen Gesetze machen uns die Arbeit schwer. Wir dürfen zum Beispiel keine Bäume mehr fällen, dafür brauchen wir nun die Erlaubnis der Regierung.

Unus: Natürlich muss man die Umwelt schützen, aber wir brauchen auch Arbeit und müssen uns ernähren.

MMN: Was arbeiten die Frauen? Arbeiten sie auch auf den Feldern?

Unus: Nein, Feldarbeit ist sehr hart, da gehen die Gelenke kaputt. Das ist die Aufgabe der Männer, nicht der Frauen. Die Frauen arbeiten zuhause. Sobald eine Frau heiratet, bleibt sie im Haus, kümmert sich um den Haushalt und kocht für die Familie. Außerdem sorgt sie für die Tiere. Viele Leute im Dorf haben Hühner oder Schweine. Die Frauen erziehen die Kinder, das ist am wichtigsten.

DSC_0178Brigida: Wenn ich Zeit habe, knüpfe ich außerdem Hängematten. Für eine Hängematte brauche ich 14 Tage. Wenn ich sie verkaufe, bringt das für die Familie ein bisschen Geld ein.

Cintia: Die Töchter lernen von den Müttern, eine gute Hausfrau zu sein. Wenn sie verheiratet sind, zeigt ihnen das niemand mehr. Sie müssen das vorher zuhause lernen.

Jorge Baltazar: Ja, die Mädchen lernen von den Müttern und die Jungen von den Vätern. Es ist für Männer am einfachsten, den Beruf des Vaters zu lernen. So geben sie die Tradition der Familie weiter. Am wichtigsten ist aber Fleiß. Es ist gut, wenn die Jugendlichen in die Stadt studieren gehen. Aber wenn nicht, müssen sie auch einen Beruf lernen.

MMN: Felipe, du gehst noch zur Schule, oder?

Felipe: Ja, ich bin in der Secundaria, in der neunten Klasse.

MMN: Weißt du schon, was du danach machen willst?

Felipe: Danach wechsle ich in die Oberschule. Ich will am liebsten studieren und danach einen guten Beruf haben, damit ich später für meine Eltern sorgen kann. Dafür muss ich in die Stadt gehen. Aber ich bin mir noch nicht sicher. Wahrscheinlich klappt das nicht. Denn ein Studium ist teuer. Meine Eltern müssten dann auf vieles verzichten und noch mehr arbeiten. Das möchte ich nicht. Meine Eltern und Großeltern haben mir so viel gegeben, ich möchte ihnen bald etwas davon zurückgeben.

MMN: Was macht du in der Freizeit?

Felipe: Meistens bin ich zuhause, manchmal treffe ich mich mit Freunden am Dorfplatz. Oder ich helfe meinem Opa bei der Feldarbeit.

MMN: Helfen die Kinder hier oft bei der Arbeit mit?

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Die Familie lebt in drei miteinander verbundenen Hütten. Eine dient als Küche und Wohnzimmer, eine als Schlafzimmer, in der dritten ist ein Hausaltar aufgebaut.

Unus: Ja, die Kinder sollen lernen, Aufgaben zu übernehmen.  In der Familie sollen alle füreinander da sein. Die Kinder lernen von den Großeltern, welche Werte wir haben. Zum Beispiel, dass sie Frauen immer achten  müssen. Wenn die Jugendlichen in die Stadt gehen, vergessen sie manchmal, was sie von den Großeltern gelernt haben. Sie verhalten sich dann respektlos. Sie kommen mit anderen Werten aus der Stadt zurück.

Jorge Baltazar: Wenn die Familie gut ist, ist die Gesellschaft gut. Deshalb müssen Kinder in der Familie lernen, wie man andere behandelt und dass man Respekt voreinander haben muss.

Unus: Ihnen das beizubringen, ist eine große Herausforderung. Sie müssen das verstanden haben, bevor sie zum Arbeiten in die Stadt gehen. Dann denken sie auch später daran.

MMN: Gehen denn viele Jugendliche und junge Erwachsene in die Stadt?

Unus: Fast alle gehen nach der Schulzeit weg. Sie suchen Arbeit in Cancun oder Playa del Carmen, in Hotels oder Restaurants. Hier gibt es keine Arbeit für sie, nur Feldarbeit, nur genug, um zu essen und zu überleben. Wer mehr will, muss rausgehen. Deshalb gibt es immer weniger Leute in Sacalaca: weil alle weggehen. Viele kommen dann nur einmal im Jahr nach Sacalaca zurück, um ihre Familie zu besuchen. Das ist traurig. Ich sage meinen Kindern trotzdem immer: Ich kann euch helfen, solange ihr zur Schule geht, aber später müsst ihr für euch selbst sorgen und selbständig sein. Deshalb bin ich damit einverstanden, wenn sie in die Stadt gehen. Unsere älteren Kinder leben schon in Cancun.

MMN: Wie alt sind sie?

Unus: Unser älterer Sohn ist 26, unsere Tochter 25. Wir haben noch eine kleine Tochter, sie ist 11. Sie lebt natürlich auch hier. Im Moment spielt sie draußen mit ihren Freundinnen.

MMN: Eine ganz andere Frage: Wie ist hier die medizinische Versorgung, wenn wir nicht da sind?

Unus: Medizinische Versorgung existiert hier praktisch nicht. Es gibt ein Gesundheitszentrum von der Regierung, aber das ist meistens geschlossen. Normalerweise ist niemand dort, auch keine Krankenschwester. Nur manchmal kommt ein Arzt vorbei, und Medikamente gibt es nur selten. Die Leute sind froh, wenn die Ärzte aus Deutschland kommen. Sie brauchen Hilfe, aber hier gibt es sonst keine. Das Leben hier ist nicht immer einfach. Zufrieden sind wir trotzdem.

MMN: Was macht Sie besonders glücklich?

Cintia: Dass wir uns so gut verstehen. Die Eltern von Unus leben nicht mehr, er ist für uns wie ein Sohn. Es ist schön, mit der Familie zusammenzusein.

Brigida: Ich bin eigentlich immer froh, ich weiß gar nicht warum. Wir sind alle immer fröhlich. Es gibt keinen Grund, traurig zu sein, wenn man in einer glücklichen Familie lebt.